Herausforderung Business Ecosystems

Eckpunkte erfolgreicher Netzwerkaktivität

Immer mehr Unternehmen haben verstanden: Die Ära des Einzelkämpfertums ist vorüber. Neue Herausforderungen und wachsende Ansprüche von Kunden und Kundinnen erfordern innovative Vorgehensweisen. Durch die Zusammenarbeit unterschiedlichster Partner erschließen Business Ecosystems neue Potenziale für Innovationen und bieten echten Kundenmehrwert. Wer auf die Etablierung eines Wertschöpfungsnetzwerks verzichtet, riskiert seine Zukunftsfähigkeit.

Viele Unternehmen haben ihre Möglichkeiten, Wachstum zu erzielen, in den vergangenen Jahren ausgereizt. Seien es effizientere Vertriebsstrukturen, neue Märkte oder der Kauf von Marktanteilen durch Fusionen und Übernahmen: Die Zahl der Optionen wird kleiner; Optimierungspotenziale sind immer häufiger abseits bewährter Strategien und Vorgehensweisen zu finden. Dazu kommt: Viele Megatrends und Herausforderungen unserer
Zeit – etwa bei den Themen Nachhaltigkeit, Künstliche Intelligenz oder Fachkräftemangel – profitieren über das eigene Engagement hinaus von der Zusammenarbeit über Firmengrenzen hinweg.
Vor diesem Hintergrund hat sich das Mindset vieler Verantwortlicher in den vergangenen Jahren verändert. Zielte ihr Handeln bislang in erster Linie auf das Erreichen individueller Vorteile ab, um so die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, ändern nun immer mehr Akteure ihre Strategie, weil sie wissen, dass sie diese isolierte Vorgehensweise bei der Lösung der anstehenden Probleme nicht weiterbringen wird. Sie setzen nun verstärkt auf Kooperation, da neue Ideen und Lösungsansätze am besten in der Zusammenarbeit entstehen. Und zwar vor allem dann, wenn komplementäre Inhalte und Kompetenzen von unterschiedlichen Partnern zusammenkommen. Neben sehr heterogenen Konstellationen sehen wir neuerdings zusätzlich verstärkt das Zusammenwirken von Wettbewerbern.
Diese Partnerschaften haben wenig mit denen gemeinsam, die wir aus der Vergangenheit kennen: Kooperationsmodelle, bei denen jede Partei ihr Wertschöpfungsmodell weitgehend unverändert beibehält, mit einer Zusammenarbeit, die im Grunde eine Lieferantenbeziehung darstellt und bei der die Teilnehmer nicht auf Augenhöhe agieren. Und sie haben auch nichts mit Formen der Zusammenarbeit zu tun, die vor allem dazu dienen, dem Geschäftsmodell des großen Partners mithilfe der Ideen und zu Lasten des Kleineren neues Leben einzuhauchen.

Neue Wertschöpfungsnetzwerke

Stattdessen entsteht, inspiriert durch neues, auf Kooperation setzendes Denken, etwas ganz Eigenes. In einer Welt, in der unter anderem infolge der Digitalisierung und praktisch eliminierter Transaktionskosten die Grenzen zwischen Unternehmen und Branchen immer stärker verschwinden, erschließen Wertschöpfungsnetzwerke eine grundlegend neue Form und Dimension der geschäftlichen Zusammenarbeit. Anstelle von Innovationen, die aus der bestehenden Lieferkette heraus initiiert und realisiert werden, generieren Business Ecosystems einen Mehrwert, der auf der Grundlage nur der eigenen Kompetenzen und Ressourcen eines Unternehmens wohl niemals zu erreichen ist. Unternehmen, die sich weigern, sich in solchen Netzwerken zu engagieren, etwa weil sie fürchten, die Kontrolle über ihr Geschäft zu verlieren, riskieren also, enorme Wachstumschancen zu verschenken.
Zahlreiche Gespräche und Diskussionen mit unseren Kunden-Organisationen bestätigen diese Einschätzung. So haben wir im vergangenen Jahr einen globalen Roundtable zu diesem Thema veranstaltet. Der Tenor war eindeutig: Die Fähigkeit, in Ökosystemen zusammenzuarbeiten, wird für den künftigen Erfolg von Unternehmen entscheidend sein. In Zukunftsfeldern wie der Wasserstoffwirtschaft ist beispielsweise schon absehbar, dass der Umsatz einzelner Player langfristig praktisch vollständig davon abhängen wird, ob das Unternehmen in ein funktionierendes globales Business Ecosystem eingebunden ist. Auch der technologische Wandel – Stichwort Künstliche Intelligenz – und der Fachkräftemangel werden dazu führen, dass Unternehmen wohl immer mehr zur Zusammenarbeit «gezwungen» sind. Diese Notwendigkeit zu erkennen ist das eine. Die erforderlichen Strukturen zu schaffen, um vom technologischen Wandel profitieren und Zukunftsmärkte erschließen und gewinnbringend mitgestalten zu können, ist das andere.

Was ist ein Business Ecosystem?

Ein Business Ecosystem beschreibt die Zusammenarbeit von mehr als zwei Akteuren in einem besonderen Netzwerkmodus. Das können Unternehmen, Start-ups, Forschungseinrichtungen oder auch andere Organisationen sein. Ihr gemeinsames Ziel ist es, in absehbarer Zeit ein für alle Beteiligten positives (meist monetäres) Nutzen-Kosten-Verhältnis herzustellen. Wenn es sich bei dem erklärten Ziel um eine aktuell durch die einzelnen Akteure (noch) nicht erreichbare neue Lösung handelt, wird von einem Innovation Ecosystem gesprochen.
Von Business Ecosystems klar abzugrenzen sind verschiedene andere Kooperationsmodelle wie:
• Plattform Ökosysteme, bei denen ein Unternehmen möglichst viele andere Unternehmen zur Nutzung der eigenen Lösung einlädt,
• 1:1-Kunden-Lieferantenbeziehungen,
• Industrieübergreifende Initiativen wie Catena-X und Manufacturing-X sowie
• Forschungskooperationen im vorwettbewerblichen Umfeld.

Vor allem drei Merkmale sind es, die Business Ecosystems kennzeichnen und von anderen Formen der Kooperationen differenzieren:
1. Das Ziel der Zusammenarbeit besteht in der Entwicklung eines neuen, besseren Kundenangebots. Das gemeinsame Nutzenversprechen bildet also den Nukleus.
2. Es existiert ein akzeptierter Orchestrator, der den Prozess koordiert, die verschiedenen Interessen zusammenführt und dafür sorgt, dass das geplante Wertversprechen erreicht wird.
3. Die Teilnehmer begegnen sich auf Basis des eigenen Wertbeitrags auf Augenhöhe und ohne Unterscheidung nach Umsatz oder Marktmacht.

 

Neben dem monetären Nutzen gibt es zahlreiche weitere Gründe für den Aufbau oder die Teilnahme an einem Business Ecosystem. Dazu zählen beispielsweise der mögliche Einstieg in bisher nicht erreichbare Themenfelder. Auch der mit der Teilnahme verbundene Motivationsschub und die Weiterbildung der Beschäftigten können wichtige Triebfedern sein. Weitere Anreize sind der potenzielle Reputationsgewinn durch Auszeichnungen und Innovationserfolge sowie die Tatsache, dass Unternehmen durch die Mitwirkung an einem Ökosystem «automatisch» an aktuellen Entwicklungen partizipieren und somit die «Fear of missing out» verhindern können. Diese Zusammenarbeit führt zu einem Angebot, das keine der Parteien allein entwickeln oder anbieten könnte. Damit setzt das Konzept des Business Ecosystems wesentlich grundlegender an als traditionelle Formen der Kooperation. Es eröffnet Evolutionspfade über Branchen- und Unternehmensgrenzen hinaus und erschließt bislang ungehobene Wachstums- und Differenzierungspotenziale, weil Unternehmen gleichberechtigt zusammenarbeiten können, ohne dass die Transaktionskosten die dabei erzielten Margen sofort wieder aufzehren.
Zwar bildet die Kundschaft und deren Bedürfnisse nach wie vor den Ausgangspunkt. Im Gegensatz zu früher stellt sich aber nicht die Frage, ob die internen Fähigkeiten und Ressourcen eines Unternehmens ausreichen, um die Kundenbedürfnisse zu erfüllen. Die Frage ist vielmehr, welche Aspekte ein Unternehmen eigenständig angehen kann und bei welchen es mit anderen zusammenarbeiten muss, um die Wünsche seiner Kunden und Kundinnen in vollem Umfang zu erfüllen.

Warum frühere Ansätze gescheitert sind

Das Thema an sich ist nicht neu. In den vergangenen 20 Jahren haben viele Unternehmen Partnerschaftsmodelle aufgebaut. Das entsprechende Schlagwort damals lautete «Open Innovation», und die Zahl der mit Partnern abgeschlossenen MOUs («Memorandum of Understanding») galt als wichtige Erfolgsgröße. Im Zuge des wachsenden Kostendrucks wurden viele dieser Modelle allerdings wieder eingestellt. Nicht zuletzt, weil kein erkennbarer Nutzen erzielt wurde.
Eine maßgebliche Ursache dafür, dass frühere Anläufe häufig gescheitert sind, ist die fehlende strategische Bedeutung der Zusammenarbeit. Die aber muss gegeben sein, wenn am Ende ein gewinnbringendes Geschäftsmodell entstehen soll. Das eine oder andere Unternehmen hat sich bei seinen partnerschaftlichen Aktivitäten allerdings «verzettelt» und schlicht nicht darauf geachtet, dass jedem Investment ein klar definiertes Ergebnis gegenüberstehen muss. Einfach nur «dabeisein wollen» ist keine tragfähige Strategie.
In vielen Fällen fehlten also eine klare Zielsetzung, Strategie und ein «Fahrplan» für die Zusammenarbeit im Ökosystem. Fragen wie: «Warum engagiere ich mich als Unternehmen, was verspreche ich mir davon?», «Auf welche meiner strategischen Ziele, Initiativen, Handlungsfelder zahlt die Zusammenarbeit ein?», «Welche strategischen Ziele kann ich überhaupt nur durch Zusammenarbeit erreichen?» wurden und werden auch heute oft nicht umfassend und plausibel genug beantwortet. Die Verankerung der Ökosystem-Aktivitäten in der Strategie und Planung bildet aber die Quintessenz erfolgreicher Netzwerkaktivität und damit letztendlich künftigen Unternehmenserfolgs.
Ein weiterer Grund für das Scheitern von Business Ecosystems sind mangelnde Expertise und fehlende Ressourcen (vgl. Abbildung 2). Viele Beschäftigte in traditionellen Industrieunternehmen haben schlicht nicht die Kompetenz und Erfahrung, die es braucht, um ein Ökosystem professionell zu managen. Stattdessen werden die Ökosysteme «nebenbei» orchestriert. Der hohe Koordinationsbedarf, der Kapital und Kapazitäten bindet, wird chronisch unterschätzt. Auch eine Verlagerung von Tätigkeiten auf die Seite des Partners reduziert nicht automatisch den Aufwand im eigenen Haus, sondern steigert den Koordinationsbedarf eher noch. Doch statt in professioneller Hand landet diese Aufgabe häufig als «Zusatzarbeit» bei nicht ausreichend qualifizieren Stellen, die sich plötzlich in der Rolle des Moderators
zwischen den Partnern wiederfinden.
Häufig fehlen den Akteuren die erforderlichen Kompetenzen (etwa in den Bereichen Recht oder Geistiges Eigentum), wenn es darum geht, sich auf rechtliche Rahmenbedingungen, Geschäftsmodelle, Zuständigkeiten, Kundenschnittstellen oder Architekturen zu verständigen. Dies gilt auch für die dafür erforderlichen Prozesse und Verantwortlichkeiten, Verhandlungskompetenz und Expertise im Ökosystem-Management.


Eine weitere Herausforderung: Viele bekannte Methoden von Führung und Zusammenarbeit funktionieren im Ökosystem nicht wie gewohnt, denn die Kulturen der verschiedenen Teilnehmer unterscheiden sich häufig fundamental. Partner engagieren sich, wenn ein spürbarer Nutzen entsteht, weil gemeinsam ein neues, besseres Wertangebot für die Kundschaft entsteht. Verschiedene Denk- und Herangehensweisen sind dabei nicht störend, sondern bilden den notwendigen Nährboden. Steuerung durch klassische Ansagen ist in diesem Kontext wenig zielführend. Gefragt ist vielmehr eine kooperative und offene Herangehensweise
der beteiligten Akteure – und zwar so, dass die unterschiedlichen Interessen gut ausbalanciert sind und alle Seiten kontinuierlich im Austausch bleiben.

Lebenszyklus von Business Ecosystems

Erfolgreiche Business Ecosystems durchlaufen in der Regel einen Lebenszyklus in vier Phasen: Planung, Aufbau, Zusammenarbeit und Abwicklung. Bei der Planung steht das gemeinsame Ziel im Mittelpunkt. Außerdem werden die zur Erreichung dieses Ziels erforderlichen Partner festgelegt. Nur, wenn alle Mitwirkenden vom positiven Nutzen-Kosten-Verhältnis überzeugt sind, besteht eine realistische Chance auf Erfolg. Im Zentrum der Aufbau-Phase steht die Festlegung von Spielregeln der Kooperation sowie das Einholen eines klaren Commitments der Beteiligten.
Die Dauer der Zusammenarbeit kann sehr unterschiedlich ausfallen. Sie ist abhängig von der Komplexität und dem Aufwand, der für das Erreichen des gemeinsam festgelegten Ziels erbracht werden muss. Der wirtschaftliche Erfolg entsteht durch das gemeinsame Ausschöpfen der Ergebnisse. Nur in den wenigsten Fällen lässt sich dieses Ausschöpfen verstetigen. Häufiger kommt es dagegen zu einer Abwicklung des Ökosystems in Form einer der folgenden Varianten:
• Übergang in ein Plattform-Ökosystem, in das weitere Unternehmen zur Skalierung eingeladen werden,
• Entwicklung einer Kunden-Lieferanten-Beziehung zwischen den beteiligten Partnern oder
• Auflösung des Ökosystems, unter Umständen verbunden mit einer Veräußerung der Ergebnisse.
Um dem hohen Bedarf an Koordination und Orchestrierung gerecht zu werden, haben erfolgreiche Unternehmen ihr Ökosystem-Management inzwischen professionalisiert. Dies kann entweder durch die Einführung neuer oder durch die Erweiterung bestehender Rollen erfolgen. Ziel muss es sein, klare Rahmenbedingungen für die Arbeit in Business Ecosystems zu schaffen.

Fazit

Die Beschäftigung mit Business Ecosystems hat das Stadium der Forschung und Kultivierung in Stabsstellen großer Konzerne verlassen. Kaum ein Unternehmen, das langfristig erfolgreich wirtschaften
will, kann es sich erlauben, auf eine Ecosystem-Strategie mit entsprechenden Strukturen, Prozessen und Ressourcen zu verzichten. Kleineren Unternehmen, Start-ups und Forschungseinrichtungen
erschließen Ökosysteme neue Möglichkeiten, in Kooperation mit Großunternehmen Wachstumsfelder zu gestalten, wenn diese einen entsprechenden Mehrwert bieten. Die folgenden sechs Punkte gilt es zu berücksichtigen:
1. das Wertangebot,
2. die «Architektur» des Ökosystems, also die Auswahl der Partner,
3. das Geschäftsmodell (so stellt sich bei datenbasierten Business Modellen etwa die Frage, wem was gehört),
4. Prozesse, Zusammenarbeit und die Art der Integration der verschiedenen Unternehmenskulturen,
5. die Erfolgsmessung/KPI-Systeme,
6. die Einbindung aller notwendigen Disziplinen wie Vertrieb, Einkauf, Controlling/Finanzen, Recht, Verträge, Geistiges Eigentum, Forschung und Entwicklung, Technologie, etc.

 

Dr. Steffen Gackstatter
Partner Operations/Innovation, Roland Berger

Dr. Julia Duwe
Partnerin Operations, Roland Berger

 

 


Aus Ausgabe Nr. 2/24: Wir – Business Ökosysteme im Vorteil

Im Zuge der Digitalisierung haben viele Unternehmen die Chance erkannt, Kundenbedürfnisse im gemeinsamen Verbund mit anderen Organisationen umfassender bedienen zu können. Vielerorts sind organisationale Ökosysteme entstanden, die auch schwierige Märkte gemeinsam meistern.
Mit dieser Ausgabe nehmen wir diese Entwicklung genauer unter die Lupe: Was sind Ökosysteme? Wie funktionieren sie und was bedeutet es für eine einzelne Organisation, sich in einen solchen Zusammenschluss einzufügen? Denn Organisationen sind vom Moment ihrer Entstehung an Einzelgänger. Sie haben ihre liebe Mühe, die internen Reproduktionsmechanismen aufrecht zu erhalten und ihre Grenzen zu sichern. Wenn es dann noch um die Gestaltung von organisationalen Netzwerkstrukturen geht, wird es wirklich anspruchsvoll.