Editorial Ausgabe 1/23

Paradoxien erkennen und managen

«Genau, genau, sie sind eben widersprüchlich» – rief der CEO geradezu erleichtert im ca. 30-köpfigen Kreis seines Führungsteams und einiger Führungskräfte der nächsten Ebene aus. Was war passiert? Bei der Erarbeitung wesentlicher Anforderungskriterien für die anstehende Reorganisation hatte einer der Anwesenden kritisch angemerkt, dass es sich ja um teils widersprüchliche Anforderungen handele und man wohl kaum gleichzeitig die Effizienz steigern und für innovative Angebote sorgen könne. Mein Hinweis «herzlich Willkommen in der Wirklichkeit» führte erst zum Ausruf des CEO, dann entspann sich eine lebhafte Diskussion über die benannten widersprüchlichen Anforderungen und die eigene Entweder-oder-Perspektive.

Gegensätze wie jene von Effizienz und Innovation oder auch Stabilität und Wandel, Dezentralität und Zentralität oder kurz- und langfristigen Anforderungen treten in Organisationen zuneh­mend zutage. Mehr noch: Angesichts von Pluralität, Ressourcenknappheit und Veränderung nehmen die damit einhergehenden Spannungen zu. Dabei sind die zugrundeliegenden Paradoxien bisweilen schwierig zu erkennen.

Um es klar zu sagen: Paradoxien gehören zum Normalzustand und sind Teil jeder Organisation – keine vorübergehende Betriebsstörung, die es zu beseitigen gilt. Sie treten häufig da auf, wo Organisationsmitglieder versuchen, konkurrierenden Anforderungen gerecht zu werden. Das erfordert von Führung die Fähigkeit, Paradoxien sehenden Auges als interdependent, widersprüchlich und andauernd wahrzunehmen und zu bearbeiten, statt sie zu ignorieren, zu polarisieren, zu beschwichtigen oder darauf zu bestehen, dass sie gelöst werden müssten.

Im Schwerpunkt dieser Ausgabe schauen wir auf Spannungen in Krankenhäusern im Kontext der Pandemie, identifizieren das Paradoxien-Dreieck im VW-Dieselskandal und beschreiben die widersprüchlichen Herausforderungen interner Beratung. Wir sprechen mit Praktiker*innen und Forschenden über neue Erkenntnisse zu Paradoxien und liefern Ansätze und Instrumente zum wirksamen Umgang mit ihnen.

Die Paradoxien-Perspektive wird – so unsere Überzeugung – zunehmend wichtiger für uns und die Welt in der wir leben. Die OECD beschreibt 2018 in einem Bericht, dass der Umgang mit Spannungen und Dilemmata eine der kritischen Kompetenzen ist, um die Zukunft zu gestalten und Gesellschaft zu verändern. Wir laden Sie ein, sich mutig die Paradoxien-Brille aufzusetzen. Aber Vorsicht! Die «verschärfte» Sicht auf das widersprüchliche bunte Leben in Organisationen birgt Chance und Risiko zugleich.

Herzlich, Ihr

Thomas Schumacher


Aus Ausgabe Nr. 1/23: UND & ODER – Paradoxien bewusst gestalten

Der Umgang mit Spannungen und Dilemmata ist laut OECD eine der wichtigen Kompetenzen, um die Zukunft zu gestalten. Tatsächlich bestimmen Gegensatzpaare wie Effizienz und Innovation, Stabilität und Wandel, Dezentralität und Zentralität oder kurz- und langfristige Anforderungen immer mehr unsere (Organisations-)Welt.

Paradoxien sind Teil des organisationalen Normalzustands, keine vorübergehende Betriebsstörung, die es zu beheben gilt. Sie treten auf, wenn Beteiligte versuchen, konkurrierenden Anforderungen gerecht zu werden. Gute Führung schärft ihren Blick und entwickelt die Fähigkeit, Paradoxien als interdependent, widersprüchlich und ständig vorhanden anzunehmen, statt sie zu ignorieren. Die aktuelle Ausgabe der ZOE liefert dazu spannende Einblicke und inspirierende Erkenntnisse.