In einer anderen, gar nicht so fernen Welt stand Digitalisierung ganz oben auf der Management-Agenda. Um 2015 wurde die agile Transformation als Königsweg zur Digitalisierung beschrieben. Heute hingegen schlagen wir uns mit fragilen Lieferketten herum. Auch für diese Volatilität empfiehlt Agilität sich als wirkungsvolles Werkzeug. Ein und derselbe Ansatz für strategische Aufgaben, für den Blick in die ferne Zukunft, genauso wie für das schwankende Tagesgeschäft – ist dies möglich?
Krisenkompetenz ist zweifelsohne eine Stärke agiler Ansätze: Denn Agilität sorgt für die Fähigkeit eines Unternehmens, einer Abteilung oder eines Teams, sich rechtzeitig an sich ständig wandelnde Umgebungen anzupassen. Im Fokus steht also die Adaption an etwas Gegebenes. Um auf diese Weise erfolgreich zu sein, muss eine agile Organisation erstens schnell genug die Notwendigkeit einer Neuausrichtung erkennen und diese dann auch durchführen können. Außerdem muss durch den Vollzug der Anpassung die Organisation Wert schaffen, für den die Kundinnen und Kunden Geld in die Hand zu nehmen bereit sind. In Bezug auf die Marktpositionierung postulieren agile Ansätze also eine klare Rollenverteilung zwischen Kundensicht und Umsetzung, zwischen Prinzipal und Agent: Die Repräsentantin der Kundensicht artikuliert ihre Wünsche, die agile Organisation führt sie – einige Iterationen später – aus.
In dieser Prinzipal-Agenten-Beziehung zeigt sich eine weitere Stärke agiler Ansätze, nämlich die mit der Kundennähe einhergehende Fähigkeit der Organisation, kontinuierlich hinzuzulernen, indem sie besagten Kunden immer besser versteht. Allerdings birgt diese «Customer Centricity» das Risiko, durch Fixierung auf bestehende Kund*innen brachliegendes Potenzial im Markt zu übersehen. Mehr noch: Wie Berner erkannt hat, gehen agile Ansätze eine Wette auf ruhige Zeiten ein – darauf, dass graduelle Anpassungen ausreichen werden, weil keine großen Veränderungen anstehen (Berner, 2017).
Moment: Steht Agilität nicht stellvertretend für Innovation, und Iteration für einen Inkubator, der in schnellen Schritten überzeugende Lösungen liefert? Zu dieser Wahrnehmung hat maßgeblich die Namensgebung des agilen Manifests beigetragen: Verfasst hat dieses eine illustre Runde von Softwaretechnikern Anfang 2001, mehr als ein halbes Jahr vor den Verwerfungen des 9/11. Agil, das klingt wie der schnelle Weg zum Erfolg, auf der Überholspur in die Zukunft. Einer der bekanntesten Protagonisten, Jeff Sutherland, rief auf den Stuttgarter Scrum Days in Erinnerung, dass auch der Name «Adaptive» diskutiert worden sei – weniger fancy als das siegreiche «Agile Manifesto», aber mit einer klaren Aussage, worum es bei Agilität wirklich geht: Nämlich, dass Anpassungsfähigkeit darauf zielt, fokussiert zu bleiben – auf Augenhöhe mit den Kund*innen.
Überdehnung des Konzepts
Ungeachtet der Intention des Agilitätsbegriffs, haben agile Beraterinnen und Berater das Anwendungsfeld systematisch ausgeweitet, bis es schließlich die agile Organisation umfasste – aus einer Fähigkeit wurde ein Paradigma. Diese Unterscheidung ist essentiell, denn es geht um weit mehr als eine semantische Differenz oder eine Hyperbel als Beratermarotte. Tatsächlich wurden bestehende Methoden und Praktiken in den agilen Kanon eingemeindet, die ursprünglich dazu entwickelt wurden, Antworten auf vollkommen andere Fragestellungen zu entwickeln als eine Prinzipal-Agenten-Bindung zu verstetigen: Während Anpassungsfähigkeit darauf zielt, eine artikulierte Kundenerwartung umzusetzen, versucht etwa «Design Thinking», bislang nichtartikulierte Bedürfnisse zu erkennen – hier geht es nicht um das Wie der Umsetzung, sondern um das Was. «Business Model Innovation» und «Lean Startup» greifen dann diesen Impuls auf und behandeln Fragen der Wirtschaftlichkeit und Machbarkeit, also «Proof of Concept» und «Proof of Value» (vgl. Abbildung 1). Mit der Vermengung der Sichtweisen wurde der Agilitätsbegriff nicht nur durchmischt – sondern überdehnt. Denn in der Fachöffentlichkeit entstand die Wahrnehmung, dass sich in der digitalen Zukunftswelt nur diejenigen Unternehmen behaupten können, welche sich zu einer agilen Organisation transformieren. Das hat Konsequenzen für die eingemeindeten Methoden, weil dadurch deren Stoßrichtungen verwässert werden: Wenn alles der Prinzipal-Agenten-Beziehung unterliegt, zählt nur noch das Wie der Umsetzung. Strategische Fragestellungen geraten dadurch rasch aus dem Fokus.
Mehr noch: Als Organisationsparadigma missverstanden, behauptet Agilität, dass es ein für alle Unternehmen gültiges Paradigma geben könne, ungeachtet des Zwecks der Unternehmung oder ihrer Stellung im Markt. Das Groteske daran ist, dass die meisten Agilistinnen und Agilisten betonen, dass es keine allgemeingültigen Blaupausen geben dürfe – «Best Practices» spiegelten nur die Vergangenheit wider und nicht die spezifische Situation im eigenen Haus. Während also Erfolgsmuster nicht von einer Organisation zur nächsten übertragen werden dürfen, verkünden hier die Agilistinnen das Gegenteil: Wer sich nicht das agile Paradigma zu eigen macht, ist im turbulenten Markt zum Scheitern verurteilt. Diese Vorstellung überdehnt den Begriff der Agilität, weil sie mehr verspricht als Anpassungsfähigkeit zu leisten vermag. Nick Hasslam bezeichnet diese konzeptionelle Überdehnung, die der semantischen folgt, als Concept Creep (2016).
Ein Ordnungsruf
Tatsächlich ignoriert dieses Agilitätsverständnis – Customer Centricity – die wichtigste Aufgabe eines Unternehmens, nämlich sich mit einem einzigartigen Wertangebot unverzichtbar zu machen. Aktive Marktgestaltung als Zweck der Unternehmung formulierte Peter Drucker 1954 als Auftrag: to create a customer. Wahrscheinlich sind in der Praxis die meisten Unternehmen zu bequem, denn die Strategieliteratur besteht seitdem aus einer Abfolge von Ordnungsrufen im Druckerschen Geist: Nehmen wir Porter mit seinen «Five Forces» (1979), Mauborgne und Kim mit ihrer «Blue Ocean Strategy» (2005) und Christensen mit seinen «Jobs to be done» (2016): Alle Ansätze haben gemein, dass man sich als Unternehmen unterscheiden muss. Es geht nicht nur darum, seine Nische zu finden, sondern sich selbst den Kunden zu schaffen – durch die Antizipation eines Bedarfs mitsamt der passenden Lösung. Das ist mit der Aussage gemeint, dass Agilität nicht auf Innovationen abzielt. Oder, um von Karl-Heinz-Bohrer (2001) zu borgen: «Anschlussfähigkeit, also der Gegenbegriff zur Innovation, wurde zum Kriterium des Konformismus.»
Agilität schwimmt stattdessen mitten im roten Ozean, um das Bild von Mauborgne und Kim aufzugreifen. Trotz der Proklamation von Graswurzel-Spirit und «Bottom-up» ist sie ihrem Wesen nach opportunistisch. Dafür sorgt die klare Prinzipal-Agent-Stellung: Aufgabe des Teams ist, den Kundinnen und Kunden zu lauschen und diese mit Lösungsvorschlägen für ihre Erwartungen zu überzeugen. Agilität beschreibt sich damit im Kern als Continuous-Technik, bei der Entwicklung und Konzeption nicht voneinander zu trennen sind. Mit der Bottom-up-Perspektive geht sie von Anwenderproblemen aus. Wie in Christensens «Innovator’s Dilemma» übersieht ein gegenwartsorientierter Anbieter in der Regel, wann es Zeit für einen Neuanfang ist (1997). Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beginnen, sich mit den gewohnten Prozessen und den von ihnen entwickelten Produkten zu identifizieren. Gemeinsam mit dem Bestandskunden als Prinzipal wird die bestehende Lösung dann zu lange verfeinert – gleichzeitig wird dabei übersehen, dass sich in der Zwischenzeit eine neue Anbieterin ein ordentliches Stück vom Kuchen abgeschnitten hat. Falscher Fokus oder einfach blöd gelaufen: Die Innovation erfolgte außerhalb des eigenen Strategiekorridors (Barton, 2018). So hilfreich Anpassungsfähigkeit und Customer Centricity für die Umsetzung sind – als Paradigma führen sie irgendwann in die Sackgasse.
Was man sich nicht von Agilität versprechen sollte
Das Kernproblem besteht darin, dass die Agentin aus ihrer Froschperspektive die Gegenwart in die Zukunft fortschreibt: In Verbindung mit der engen Kundenbindung wird zyklisch-iteratives Denken irgendwann kurzsichtig. Dessen Stärke bei der Umsetzung führt, wenn nicht bewusst gegengesteuert wird, in die strategische Anpassungsfalle: Statt sich im Druckerschen Sinne seinen eigenen Kunden zu erschaffen, werden die Strategien anpassungsgetriebener Unternehmen rasch generisch, also austauschbar. In den Worten von Alexander Nicolai verleitet die Agilitätsrhetorik dazu, «sich an eine Umwelt anzupassen, die sich ständig verändert. Sie verrät ihnen aber nicht, wie sich aus einer derartigen Umwelt eine kohärente, zukunftsorientierte Form der Unternehmensentwicklung ableiten lässt» (Nicolai, 2020).
Die agile Unternehmenskultur leistet einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zum Opportunismus: Die Stärke von Agilität, Silos aufzubrechen und Kommunikation zu fördern, wendet sich gegen die eigene Organisation, wenn eine Kultur entsteht, die sich neue, selbstbezogene Orthodoxien schafft. Mit diesem Problem hat sich Adam Grant bereits 2016 auseinandergesetzt: Laut dem Organisationspsychologen von der Wharton School der University of Pennsylvania sorgt ein starker Gruppenzusammenhalt für Homogenität, die mit der Zeit zu erstarren droht. Schließlich sind die agilen Formate zur Koordination erfunden worden, nicht dazu, sich eigener Wahrnehmungsverzerrungen gewahr zu werden (Sprenger, 2020). Für den Blick von außen sorgt in der Softwareentwicklung die Product Ownerin. Bei einer agilen Organisation hingegen fehlt ein echter Prinzipal. Spätestens, wenn Kritikerinnen und Kritiker sich aus Sorge um den Gruppenfrieden zurückhalten, versandet die Aufgeschlossenheit für alternative Perspektiven. Mit der Konfliktdynamik wird auch die kreative Spannung umgangen – die Stärke agiler Formate dreht sich mittelfristig in ihr Gegenteil um: Nach Held und Geißler droht die Organisation erst zu erblinden und sich dann vor Neuerungen zu fürchten (2020): «Im Modus der operativen Reproduktion (mehr desselben!) birgt das Neue immer auch eine potenzielle Bedrohung.» Diese Reproduktion ist nicht auf das Ausgangsprodukt beschränkt – der radikale Konstruktivismus von von Förster bis Maturana arbeitet sich an der Homöostase sozialer Systeme ab. Agile Formate verstärken diese Tendenz signifikant.
Konkret nachgewiesen wurde dieser Verlust des strategischen Fokus am MIT bei Stand-up-Meetings, einem Kernformat vieler agiler Ansätze (vgl. Abbildung 2)(Wu & Duckach, 2021): Mit Projektdruck und Deadline im Hinterkopf sorgten die Teammitglieder für eine bessere Koordination untereinander und konzentrierten sich darauf, auf den Termin zu liefern. Raum für Experimente blieb bei den untersuchten Teams allerdings auf der Strecke. Das Ergebnis ist eine kognitive Verengung (Kaduk et al., 2013), denn der kurzzyklische Zusammenschluss aller Beteiligten rückt das Tagesgeschäft und die Umsetzung in den Fokus. Im Gegenzug wird das Denken in Alternativen und Innovationen vernachlässigt. Denn: In der Design-Thinking-Sprache haben sich die beobachteten Teams bequem im Lösungsraum eingerichtet.
Ein anschauliches Beispiel für die Gefahren der Engführung lieferte ein agiler Pionier aus Berlin: Nach zehn Jahren agiler Entwicklung konnte das Unternehmen sein Software-Produkt fast nicht mehr weiterentwickeln: Das Produkt war verbaut. Über Jahre angehäufte technische Schulden bewirkten, dass spätere Teams von Entwicklerinnen und Entwicklern den Überblick verloren hatten. Die Schulden entstanden, da den Teams kein Sparring-Partner gegenüberstand, kein Prinzipal in Form eines kritischen Product Owners (Meseberg, 2014).
«Als Organisationseigenschaft braucht Anpassungsfähigkeit Führung.»
Agilität ist also ein Wertesystem zweiter Ordnung: Es braucht den Anstoß, nicht das große Ganze aus dem Blick zu verlieren und regelmäßig Wozu und Wohin zu hinterfragen (Hummel & Stehle, 2022). Als Organisationseigenschaft braucht Anpassungsfähigkeit Führung – wenn die Richtung feststeht, können sich die agilen Teams selbst organisieren und sich um die Ausgestaltung kümmern. Die Behauptung einer agilen Transformation als übergeordnetes Paradigma hingegen bleibt ein Plastikwort (Pörksen, 1992). Hopp oder top, das ist die postulierte Dichotomie der agilen Transformation. Allerdings unterschlägt die Unversöhnlichkeit zwischen Anpassung und Untergang, dass Organisationen zum Glück über weit mehr Handlungsmöglichkeiten verfügen.
Der Zukunft eine Richtung geben
Wenn es im Sinne von Peter Drucker die zentrale Aufgabe eines jeden Unternehmens ist, sich seine Kundin zu verschaffen, dann muss die Organisation von diesem Zweck hergedacht und aufgestellt werden. Wie im Reverse Engineering geht es also darum, die Organisation vom Ende her zu denken. Jedes Unternehmen muss für sich prüfen, wie es in Bezug auf diese imaginäre Kundin aufgestellt ist – möglicherweise benötigt es ja die Organisationsfähigkeit zur Anpassung gar nicht. Die minimalinvasive Devise lautet: Kein Change ohne Business Case. Und wenn ein Betrieb überzeugt davon ist, dass er von Agilität profitieren wird, muss er dennoch für sich die passende Dosis ermitteln.
«Jedes Unternehmen muss für sich austarieren, wie es sich auf die Wertschöpfung fokussieren will.»
Für einen Lohnfertiger mit großer Varianz ist Anpassungsfähigkeit sicher ein wichtiges Asset. Für einen Hersteller einzigartiger Produkte reichen möglicherweise partielle oder kleinere Interventionen völlig aus. Auch und gerade bei Organisationsfähigkeiten geht es um einen Strategie-Fit – capabilities follow strategy. Gemeint ist damit: Welche Fähigkeiten benötigt das Unternehmen, um den Geschäftszweck erfüllen zu können oder um sich dabei unterstützen zu lassen? Die generische Fähigkeit muss also zum Asset der Firma entwickelt werden. Frederic Laloux hat darauf hingewiesen, dass unterschiedliche Zwecke von Sub-Organisationen unterschiedliche Organisationsformen erfordern (2014). Dementsprechend müssen sich auch deren Fähigkeiten unterscheiden. Denn die «Organisation einer Organisation ist die Organisation einer Differenz» (Baecker, 1997).
Jedes Unternehmen muss für sich austarieren, wie es sich auf die Wertschöpfung fokussieren will. Vier spezifische Spannungsfelder dichotomer Organisationsparameter aus dem Spektrum Zukunftsfähigkeit verdeutlichen dies:
1. Innen zu Außen
Was sind die Systemgrenzen des Unternehmens? Wie klar und durchgängig sind diese gestaltet und wie ist das Unternehmen in einem Ökosystem verankert?
2. Prinzipal zu Agent
Welche Sparring-Partnerin oder welcher Counterpart vermittelt den Teams Impulse und stört, wenn nötig, eingefahrene Routinen?
3. Explore zu Exploit oder Kontinuität zu Diskontinuität
Wie ist gesichert, dass das Stammgeschäft Erträge erwirtschaften kann, um Zukunftsvorhaben zu finanzieren?
4. Stabilität zu Wandel
In welchem Verhältnis stehen Veränderungen zu Beständigkeit, damit sich die Organisation und deren Mitarbeitende nicht überfordern?
Ähnlich könnten wir eine Liste von Organisationsfähigkeiten erstellen – wie eben auch Agilität. Doch bereits die kleine Auswahl an Parametern macht deutlich, dass die agile Organisation letztlich eine Phrase ist, die bei der Unternehmensführung und Organisationsentwicklung nicht weiterhilft. Wahrscheinlich kann es nicht einmal eine führende Organisationsfähigkeit als solche geben, sondern immer nur eine unternehmensindividuelle Antwort im Spektrum organisationaler Möglichkeiten. Dabei benötigen innovative Kulturen, wie Gary P. Pisano betont, einen spezifischen Mix scheinbar widersprüchlicher Verhaltensweisen (2019).
Wenn man sich auf ein Paradigma fokussieren möchte, dann Ambidextrie, verstanden als Händigkeit, die unterschiedlichen Fähigkeiten und Anforderungen in der Organisation so kohärent zu steuern wie möglich. Entschieden mehr Aufmerksamkeit als die Frage nach einem Paradigma verdient allerdings Governance. Genauer: deren Befähigung zur Händigkeit. Denn zu den Aufgaben von Governance gehört, Organisationsfähigkeiten zu führen, zu schützen und im jeweiligen Kontext zu orchestrieren. Das ist alles andere als selbstverständlich – denn natürlich unterliegt auch die Führung denselben Wahrnehmungsverzerrungen, wie sie die MIT-Forscher Wu und Dukach bei der Konzentration aufs Tagesgeschäft nachgewiesen haben.
Damit schlagen wir den Bogen zurück zur Anpassungsfähigkeit: Agile Ansätze sind kein Stand-Alone-Format, sondern ein Vehikel, mittels dessen ein Unternehmen sein Ziel besser zu erreichen vermag. Denn beim Wie der Umsetzung schaffen agile Vorgehensweisen einen zielführenden Rahmen: Gerade bei Unsicherheiten ermöglicht das kurzzyklische Vorgehen, aus Experimenten zu lernen. Die Organisation gewinnt dadurch in kurzer Zeit an Erfahrung. Agilität sorgt gewissermaßen für Härtung. Bei der Ausführung wiederum trägt Anpassungsfähigkeit zu Kontinuität bei – ein Asset, wenn digitale Dienste über einen langen Zeitraum gewartet und mit neuen Funktionen attraktiv gehalten werden sollen.
Eine Skizze eines solchen Organisationssettings ist der «Innovationsrahmen » (vgl. Abbildung 3). Hier werden bekannte nicht-agile Methoden wie Design Thinking, Business Model Innovation und Lean Startup entsprechend den Fragen angeordnet, die sie zu beantworten helfen. Auf der Antwort der Vorgängerfrage setzt also die nächste Methode auf, solange, bis eine umsetzungsreife Lösung entsteht. Das Beispiel zeigt, dass die spezifische Situation eines Unternehmens – nämlich: sich seinen Kunden zu schaffen – unterschiedliche Konfigurationen verlangt. Dementsprechend muss auch Anpassungsfähigkeit eingebunden werden. Entscheidend ist dabei, den unterschiedlichen Methodenfokus zu verstehen, um sich diesen zunutze machen zu können. Genauso wichtig ist allerdings, liebgewonnene Denkroutinen zu stören. Denn zur Zukunftsoffenheit gehört auch, Kontinuitäten zu hinterfragen, bevor sie zu Orthodoxien erstarren (Fitzgerald & Stol, 2017).
Fazit
Die agile Organisation avancierte vor gut sieben Jahren zu einer konzeptionellen Überdehnung dessen, was Anpassungsfähigkeit zu leisten vermag. Dazu gehörte die Behauptung, die Transformation sei unabdingbar, um die Chancen der Digitalisierung nutzen zu können. Allerdings wurde dabei Anpassungsfähigkeit, eine konkrete Organisationsfähigkeit, mit der Funktion eines übergeordneten Organisationsparadigmas verwechselt. Mit fatalen Folgen: Mit der Fixierung auf die agile Organisation ging der Fokus verloren, dass die wichtigste Aufgabe jedes Unternehmens darin besteht, sich seinen Kunden zu schaffen, also mit einem einzigartigen Wertangebot zu überzeugen.
Statt darauf zu hoffen, dank agiler Methoden irgendwie einen Weg in die Zukunft zu finden, muss sich jedes Unternehmen im Blauen Ozean seine Marktpositionierung aktiv erarbeiten. Hierzu ist ein Methodenmix erforderlich, der unterschiedliche Perspektiven zusammenbringt, mit denen jeweils unterschiedliche Fragen zu beantworten sind. In diesem Kontext ist auch ein agil-iteratives Vorgehen sinnvoll: zur Umsetzung und laufenden Feinjustierung der angestrebten Marktstellung.
Dominik Strube
Programmleitung Studienreihen Kugler Maag Cie by UL Solutions
Literatur
• Drucker, P. (1954). The Practice of Management. HarperColins.
• Baecker, D. (1997). Wieviel Organisation braucht die Organisation? Zeitschrift OrganisationsEntwicklung, 18-25.
• Meseberg, U. (2013). 10 Jahre agil. Das wurde teuer. Projektmagazin.
• Barton, D. et al. (2018). Probleme zügig lösen. Harvard Business Manager, 36-38.
• Nicolai, A. (2020). Aufbruch in das Ungewisse. Zeitschrift OrganisationsEntwicklung, Heft 4, 46-51.
• Rigby, D. K. et al. (2020). Doing Agile Right: Transformation Without Chaos. Harvard Business Review Press.
• Wu, A. & Dukach, D. (2021). Kreativ geht anders. Harvard Business Manager, 18f.