Bitte keine Stories!

In Krisen braucht es klare Botschaften

Kommunikation in der Transformation bedeutet nicht, schlechte Nachrichten gut zu verpacken, sondern sie erfordert Fingerspitzengefühl und Wertschätzung.

Storytelling wird schon lange nicht mehr nur von Journalist*innen und Marketing-Expert*innen eingesetzt, um Leser*innen spannende Geschichten zu bieten und Kund*innen an die Marke zu binden. Es hat längst seinen Weg in die Kommunikationsabteilungen der Unternehmen gefunden – vom Start-up, um Investoren zu überzeugen, über den Mittelständler, der auf der Suche nach Fachkräften mehr bieten muss, bis hin zu Großkonzernen und Banken, bei denen es in Zeiten politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Umbrüche um ihre Zukunftsfähigkeit geht.

Das Erzählen von Geschichten, um die eigenen Mitarbeiter*innen zu motivieren, die Unternehmenskultur zu stärken oder die Bekanntheit der Organisation nach außen zu steigern, ist wichtig. Storytelling kann komplexe Inhalte anschaulich, verständlich und einprägsam vermitteln. Die Frage ist, ob dieses Werkzeug auch in Transformationsprozessen eingesetzt werden sollte.

Man stelle sich vor: Ein Unternehmen befindet sich in wirtschaftlicher Schieflage, mitten in der Umstrukturierung. Ein Stellenabbau ist unausweichlich. Wenig wurde bisher offiziell kommuniziert, die Gerüchteküche brodelt. Die Belegschaft spekuliert über Standortschließungen, Arbeitsplatzabbau, eine mögliche Insolvenz. Jetzt meldet sich die/der CEO zu Wort. Wie kommuniziert sie/er?

Kommunikation bedeutet nicht, schlechte Nachrichten gut zu verpacken, sondern sie erfordert Fingerspitzengefühl, Angemessenheit und Wertschätzung. Kommunikation bedeutet Verantwortung. Dies ist angesichts der gegenwärtig allerorten spürbaren globalen Umbrüche in Wirtschaft und Gesellschaft besonders relevant. Viele Unternehmen sind gezwungen, sich mittels Restrukturierung vollkommen neu auszurichten. Geschäftsmodelle kommen auf den Prüfstand. Einige Unternehmen werden auch Mitarbeiter*innen entlassen müssen. Diese Entwicklung ist bereits in vollem Gange.

Kein Weg sollte in einer Transformationsphase daran vorbeiführen, die Kommunikation strategisch zu denken und zu planen – zum Gelingen der Transformation und zum Schutz der Reputation. Aus Kommunikationssicht kommt es in Zeiten höchster Unsicherheit darauf an, nach innen und außen Führung zu demonstrieren und Vertrauen zu schaffen. Das gelingt nur, wenn die Botschaften mit angemessener Ernsthaftigkeit vermittelt werden. Hier wird deutlich, warum insbesondere in einer krisenhaften Realität das Werkzeug des Storytellings deplatziert ist.

Unternehmen brauchen in einer solchen Situation keine emotional aufgeladenen Geschichten mit Spannungsbögen und Helden, die kurzfristig von der Lage ablenken, falsche Hoffnungen machen oder kritische Sachverhalte verschleiern. Im besten Fall können Stories dem Unternehmen kurzfristig eine Atempause verschaffen, im schlechtesten Fall aber wirken sie unangemessen und zynisch. Die Deutungshoheit über den gesamten Transformationsprozess behält ein Unternehmen nur dann, wenn es sich für eine Kommunikation entscheidet, die Verständnis für Veränderungen schafft, notwendige Maßnahmen einordnet, den Weg in die Zukunft aufzeigt und insbesondere die Mitarbeiter*innen mit Aufrichtigkeit und Empathie durch den Transformationsprozess begleitet.

Aber kommen wir zurück zu unserem Beispiel – wie soll die/der CEO da kommunizieren?

  • Szenario 1: Die/der CEO umreißt die Situation – transparent, sachlich, verbindlich, mit aussagekräftigen Kernbotschaften, untermauert mit Daten und Fakten. Also etwas so: «Der Markt verzeichnet einen Rückgang von XY Prozent; unser Umsatz ist um XY Prozent eingebrochen; die Lage ist ernst. Wir haben sorgsam alle Optionen geprüft und mussten eine Entscheidung treffen. Leider müssen wir uns von einigen Mitarbeiter*innen trennen. Das ist ein schmerzhafter Prozess, doch er ist notwenig, um unser Unternehmen zukunftsfähig zu machen. Wir haben einen Plan und arbeiten gemeinsam hart daran, durch diese schwierigen Zeiten zu kommen.»
  • Szenario 2: Die/der CEO holt aus, erzählt eine Geschichte, die mit der Kernproblematik nur am Rande zu tun hat, verwischt oder verklärt die Realität und wiegt die Mitarbeiter*innen in falscher Sicherheit. In etwa so: «Mein Großvater, der das Unternehmen seinerzeit schon durch viele Krisen geführt hat, erzählte mir…Als ich die Führung dieser Firma vor 20 Jahren übernommen habe, hat er mir aufgetragen, Krisen die Stirn zu bieten und seinem Vermächtnis treu zu bleiben, auch in stürmischer See nicht vom Kurs abweichen zu lassen. Und ich kann Ihnen versichern, wir werden den sicheren Hafen gemeinsam erreichen.» Mit einer Kommunikation wie in Szenario 2 ist niemandem geholfen – auch nicht der Unternehmensführung, die ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzt. Unternehmen in der Transformation brauchen klare Botschaften, an denen sich alle Stakeholder – allen voran die Mitarbeiter*innen – orientieren können.

 

Torben Gosau
Partner und Leiter des Berliner Büros von Kekst CNC


Aus Ausgabe Nr. 2/23: Es wird einmal… – Narrative prägen den Wandel

Geschichten wirken. Sie haben eine eigenartige Magie. Egal, ob Drama oder Tragödie: Auf der Hinterbühne der Organisation erzählen sie sich wie von selbst und steuern so täglich das Verhalten. Besonders relevant wird das, wenn es darum geht, die Dinge anders anzugehen als bisher. Denn Organisationskulturen bestehen aus vielfältigen Erzählungen. In ihnen ist kollektive Erfahrung gespeichert. Dazu gehören auch die Geschichten des Wandels der Vergangenheit. Je nachdem, ob das Tellerwäscher-zum-Millionär-Stories sind, Geschichten über Entmündigung oder Befreiung, über Mut oder Verzagen, können sie unser Herz für die Veränderung öffnen – oder verschließen.

In dieser Ausgabe der OrganisationsEntwicklung schauen wir genauer hin, warum Geschichten ein so bedeutsames Thema für die Organisationsentwicklung sind und wie man die Erzählung der Organisation ganz neu schreiben kann.