Organisationen starten nicht von heute auf morgen einfach so damit, systematisch zu reflektieren. Vielmehr braucht es ein Einfallstor und mutige Pionier*innen, die den Weg bahnen. Ein erster Schritt in die Reflexion von Organisationen gelingt oft über das Coaching von Führungskräften. Das ist zumindest die Erfahrung der Autorin, die seit 15 Jahren in systemischen Coachings Frauen und Männer in Konzernen, Mittelstand und Start-ups begleitet. Der Kontext der Coachings waren häufig organisationale Veränderungsprozesse und die Klärungen und Sortierungen, die bei den Coachees einen Reflexionsbedarf bewirkten. Die Coachees bewegen sich auf (höherem) Management-Level oder starten als zukünftige Potenzial-Kandidat*innen einen Karriereprozess. Nicht selten fällen sie während und nach diesen begleiteten Selbstreflexionsprozessen Entscheidungen mit großer Tragweite.
Eine spannende Beobachtung in den Coachings ist, dass diese individuellen Selbstreflexionsprozesse häufig Auslöser für organisationale Reflexionsprozesse sind. Aus einem individuellen Erkenntnisprozess heraus wuchs bei einigen Coachees der Wunsch, die Erkenntnisse der Coachings, vor allem aber auch die Methoden des Reflektierens an sich, mit anderen Mitgliedern der Organisation zu teilen: mit Vorgesetzten, mit Peers, mit Mitarbeitenden. Schließlich trugen sie diesen Impuls weiter in das Unternehmen – und etablierten in Begleitung Reflexionsrunden und -architekturen – häufig mit externer Begleitung. Die Erfahrung in individuellen Coachings trug also dazu bei, den Nutzen von Reflexion für die Organisation als Ganze zu erkennen.
Umgekehrt lässt sich in vielen Transformationsprozessen beobachten, dass beratende Organisationsentwickler*innen und Coaches Organisationen, Führungskräften und Mitarbeitenden vorab keinen kausal begründbaren Nutzen durch Reflexionsangebote versprechen können. Ob und wie Reflexion sich in der Organisation auswirkt, kann höchstens rückwirkend und als Puzzlestein eines längeren Erkenntnisprozesses eingeordnet werden.
Die Inhalte der individuellen Reflexionsprozesse haben sich in den vergangenen 15 Jahren stark verändert. Heute geht es bei vielen Fach- und Führungskräften nicht mehr um höher, schneller, weiter innerhalb ihrer Systeme, sondern vielmehr um das Reflektieren innerer und äußerer Ambivalenzen. Vielfach drehen sich Prozesse um Selbstwert und Kommunikation und wie die eigene Haltung mit der aktuellen Organisationsentwicklungssituation zusammenpasst oder inwiefern welche Kompromisse helfen können, vor allem auch mit Blick auf Familie, Privatleben und Belastung – insbesondere seit Corona.
Es geht um Beziehungsgestaltung, Sinnhaftigkeit, Leistungsfreude, Lebensübergänge. Mit quantitativ orientierten KPIs können Erfolge dieser Prozesse nicht gemessen werden, allerhöchstens helfen qualitativ einschätzbare Indikatoren wie Mitarbeiterzufriedenheit, Fluktuation oder Krankheitsraten. Es geht um fachliche Wirksamkeit, die Anerkennung als Mensch und um das Navigieren zwischen den vielen Ambivalenz-Polen, die eine Organisation in all ihren Veränderungen für eine eigene Verortung bereithält.
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