ZOE: In Ihrer Forschung beschäftigen Sie sich damit, wie wir in unserer täglichen Zusammenarbeit – wie beispielsweise in einem Meeting – unmittelbar reflektieren können. Was hat Sie dazu veranlasst, den Schwerpunkt auf Reflexion, Bewusstsein und Handeln zu legen?
Svalgaard: Am Anfang meiner beruflichen Laufbahn las ich ein Zitat von Edgar Schein, in dem es darum ging, dass wir in Organisationen überleben, indem wir passiv bleiben. Ich fand das provokant und faszinierend. Als Organisationspsychologin arbeite ich schon sehr lange mit Gruppen in Organisationen. Ich war neugierig, warum es in Gruppen so oft ganz offensichtliche Prozesshinweise gibt, die die Mitglieder nicht bemerken oder wahrzunehmen scheinen, z. B. wenn jemand im Arbeitsprozess mit der gemeinsam getroffenen Entscheidung nicht zufrieden ist, jemand unkonzentriert ist oder jemand ständig auf sein Handy schaut. Meine Frage wäre da: Wenn es so offensichtlich ist, warum nehmen die Gruppenmitglieder den Hinweis nicht auf und arbeiten daran?
Bei meinen Programmen zur Entwicklung von Führungskräften habe ich festgestellt, dass diese in dem Moment, in dem das wirkliche Leben zuschlägt, also in Zeiten der Eile und Sorge, all ihre Erkenntnisse darüber, was zwischen Menschen geschieht, vergessen – egal ob es um sie selbst alleine oder über das eigene Verhalten in Gruppen geht. Die ganze Energie fließt in die primäre Aufgabe der Gruppe («Aufgabe 1») und nicht in das Management des Gruppenprozesses («Aufgabe 2»). Wo liegt dann der Sinn meiner Arbeit als Beraterin, wenn sie in dem Moment ausgeblendet wird, wo wir sie am meisten brauchen? Diese Frage hat mich wirklich beschäftigt. Wie können wir in Gruppen bei uns selbst und unseren Erkenntnissen bleiben, wenn wir sie am meisten brauchen? Ich war wirklich neugierig, was in diesem kurzen Moment passiert, in dem wir abschalten; diese Sekunde, in der wir unsere Einsichten loslassen, in der wir entweder nicht sehen, was direkt vor uns passiert, oder es nicht sehen wollen.
ZOE: In Ihrem Buch «The Elefant in the Room» nennen Sie diese Momente «in the middle of it all», dieser Ausdruck gefällt mir sehr. Sie sagen also, dass wir in diesen Situationen manchmal nichts mehr sehen. Woran liegt das?
Svalgaard: Wir brauchen den Raum dazwischen – also zwischen dem Reiz und der Reaktion –, um uns zu erden und zu reflektieren. Wenn wir an Aufgabe 1 und Aufgabe 2 arbeiten, ist Reflexion oft ein Rückblick – man schaut auf etwas im Sinne von «was haben wir getan?» Man denkt zum Beispiel auf dem Heimweg über einen Arbeitstag nach oder man reflektiert mit Kollegen und Kolleginnen ein Projekt und überlegt, was gut gelaufen ist oder was man beim nächsten Mal besser machen kann. Diese Momente der Reflexion sind unglaublich wichtig. Es ist essenziell, einen Schritt heraus zu treten, quasi vom Balkon aus einen Blick auf die eigene Arbeit und die eigene Welt zu werfen und darüber nachzudenken, wie man diese verändern kann, wie es einem gerade geht und wie man sich fühlt. Die Herausforderung ist, dass man von diesem Balkon dann auch wieder heruntergehen muss. Man muss schließlich wieder mitten ins Geschehen treten und die Überlegungen dabei mitnehmen, um tatsächlich danach handeln zu können. Das ist der entscheidende Moment. Das ist der Moment, in dem wir all unsere Gedanken und Einsichten zurückbringen.
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