Jugend macht Zukunft

Die Veränderungskraft der jüngeren Generationen

Vor dem Hintergrund seiner langjährigen Erfahrung als Jugendforscher hat unsere Redakteurin Dr. Brigitte Winkler mit Professor Dr. Dr. h.c. Hurrelmann darüber gesprochen, welche Veränderungen durch die besonderen Charakteristika der nachfolgenden Generationen Y und Z für Organisationen und Gesellschaft erwartbar sind.

ZOE: Herr Prof. Hurrelmann, seit vielen Jahren erforschen Sie die Werte und Einstellungen nachkommender Generationen. In Ihrem letzten Buch «Generation Greta» betonen Sie: «Jugendforschung ist Zukunftsforschung. Lange bevor Entwicklungen die gesamte Gesellschaft erfassen, sind sie schon aus Jugendstudien herauszulesen». In diesem Gespräch möchten wir mit Ihnen extrapolierend in die Zukunft schauen, um besser zu verstehen, welche Veränderungen von nachfolgenden Generationen zu erwarten sind. Wenn Sie kurz die Unterschiede zwischen den Millennials (Generation Y) und den Post-Millennials (den nach der Jahrtausendwende Geborenen) beschreiben müssten? Was sind die Besonderheiten beider Generationen? Worin unterscheiden sie sich?

Hurrelmann: Es ist interessant zu sehen, dass sich innerhalb so kurzer Zeit die Lebensbedingungen, und damit ja auch die prägenden sozialen, politischen, wirtschaftlichen und technischen Ausgangsbedingungen für die Persönlichkeitsentwicklung stark geändert haben. Zusammengefasst kann man sagen, dass wir eine deutliche Wende in der Mentalität einer jungen Generation vorfinden. Die Jahre um die Jahrtausendwende herum stellen eine generationale Wasserscheide dar. Wer davor geboren wurde, lebte in unsicheren Zeiten, die  Generation Y noch deutlicher als die Generation X, die der Baby Boomer-Generation folgte, die zwar wirtschaftliche Unsicherheit erfuhr, aber noch einigermaßen ökonomisch abgesichert war. Die Generation Y (d. h. die ca. zwischen den Jahren 1980 und 2000 Geborenen)  erlebte zahlreiche Krisen: die Anschläge in New York, den GAU im Atomkraftwerk von Fukushima und – sehr wichtig für junge Leute – die Wirtschaftskrise. Für jede Generation ist es ganz entscheidend für ihre Zukunftssicht, wie die beruflichen Perspektiven sind. Für die Generation Y war diese Perspektive sehr unsicher und vernebelt.

ZOE: Was hat sich denn in so kurzer Zeit für die unter 25-Jährigen verändert?

Hurrelmann: Sie mussten zwar die Corona-Krise in ihrer Ausbildungsphase beim Übergang in den Beruf ertragen und jetzt auch noch den Krieg in der Ukraine, jedoch – und das ist ganz entscheidend – sie haben keine wirtschaftlichen Sorgen. Ihre beruflichen Chancen sind sehr gut. Das liegt zum einen an der konjunkturellen Lage, zum anderen daran, dass sie vom Austritt aus dem Berufsleben der Baby-Boomer-Jahrgänge profitieren. Das waren Jahrgänge von 1,4 Millionen Kopfstärke. Heute haben wir Jahrgänge von maximal 750.000 pro Kopf in Deutschland. Davon profitieren die Jüngsten. Waren die vor dem Jahr 2000 Geborenen noch Krisenkinder mit beruflicher Unsicherheit und dementsprechend zu opportunistischen, karrieretaktischen Verhaltensweisen angehalten, hat sich nach der  Jahrtausendwende viel  geändert. Die heutige Generation Z erlebt zwar eine dichte Folge von existenziellen Krisen, was an die Psyche geht, jedoch sind die beruflichen Chancen groß. Auch der Angriffskrieg von Russland gegen die Ukraine hat daran bisher nichts geändert und es sieht nicht so aus, als könnte das noch passieren. Aus unseren früheren Generationsstudien können wir entnehmen, dass eine Generation, wenn sie wirtschaftlich den Rücken frei hat, sich ihrer Position in der Gesellschaft bewusst wird. Daher agiert die Generation Z so politisch, wie wir es schon lange nicht mehr gehabt haben.

ZOE: Welche Veränderungen in gesellschaftlicher, wirtschaftlicher, ökologischer, politischer Hinsicht werden von beiden Generationen (Z und Y) Ihrer Meinung nach ausgehen, je mehr diese in der Arbeitswelt und in politischen und gesellschaftlichen Funktionen Fuß fassen? Was ist schon jetzt absehbar?

Hurrelmann: Sie haben völlig Recht, für viele Aspekte gelten die folgenden Ausführungen nicht nur für die Generation Z, sondern auch für die vor dem Jahr 2000 Geborenen der Generation Y, weil sich die wirtschaftliche Situation im Laufe der Berufsjahre für sie selbstverständlich auch deutlich gebessert hat und sie mittlerweile das Gefühl haben, am Arbeitsmarkt gebraucht zu werden. Grundsätzlich wünschen sich alle unter 30-Jährigen einen guten gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sie reagieren empfindlich auf einen Bruch von Gemeinschaft und Gemeinsamkeit, z. B. während der Corona-Pandemie, wenn sich Gruppen nicht an Regeln halten. Sie sind in ihrem persönlichen Leben durchaus familienfreundlich; sie wollen eine Familie gründen, obwohl sie merken, wie schwierig das ist. Die Motivation für eine Familiengründung ist jedoch bei jungen Frauen deutlich höher als bei den jungen Männern. In jeder jungen Generation ist dieser Wunsch bei 75 Prozent da. Bei den unter 35-Jährigen ist er jedoch noch stärker damit verbunden, dass sie hohe Erwartungen an ihre Lebens- und Arbeitsqualität setzen. Sie wollen einen Arbeitsplatz, der sinnvoll ist, der Spaß macht, Sicherheit und ein gutes Gehalt bietet und der auf ihre ganz persönlichen Bedürfnisse zugeschnitten ist. Unter den Krisenbedingungen wurden materielle Faktoren nochmals bedeutsamer. Die Vereinbarkeit von privatem und beruflichem Leben ist ein ganz starkes Motiv, das von diesen jungen Leuten ausgeht.

Die Jüngeren setzen in allen Bereichen gesellschaftlich, wirtschaftlich, ökologisch und politisch neue Akzente.

Da die jüngeren Generationen digital groß geworden sind, prägt das ihre gesamte Mentalität im gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Denken. Sie gehen davon aus, dass im Grunde alles über digitale Plattformen machbar ist und schauen irritiert auf die ältere Generation, die sich das so gar nicht vorstellen kann. Zugleich haben sie eine eingebaute Burn-out-Sperre und möchten nicht, dass der Beruf durch die digitale Erreichbarkeit in ihr Privatleben zu stark eingreift und das Privatleben vom Berufsleben «drangsaliert» und eingeschränkt wird.

Ökologisch ist die Generation Z sehr aktiv. Fast 40 Prozent der jungen Leute unter 25 halten beispielsweise die Fridays for Future-Bewegung für sehr bedeutsam. In ihrem Alltagsleben und auch bei der Berufs- und Arbeitswahl spielen ökologische Kriterien des Klimaschutzes eine enorme Rolle. Sie fordern kollektive Unterstützung durch politische Entscheidungen, um ihr eigenes Leben in den Bereichen Mobilität, Ernährung und Nutzung von wirtschaftlichen, ökologischen, sozialen Ressourcen ökologisch sinnvoll steuern zu können. Damit sind sie politisch gesehen eine sehr, sehr anspruchsvolle junge Generation, die den Eindruck hat, dass die politischen Machthabenden sie übersehen, auf ihre Interessen nicht sorgfältig genug eingehen, sie teilweise sogar ignorieren. Demzufolge besteht eine Distanz zu den großen, etablierten Parteien, die für sie bürokratische Machtapparate sind. Sie präferieren flexible, überschaubare Strukturen. Deswegen treten sie lieber einer Bewegung als einer Partei bei. Damit setzen die Jüngeren in allen Bereichen gesellschaftlich, wirtschaftlich, ökologisch und politisch neue Akzente. Sie unterscheiden sich stark von den «Macher-Jahrgängen» der Baby Boomer, die jetzt aus dem Berufsleben ausscheiden und die alles – wie beispielsweise die demokratischen Prozesse und Unternehmen – aufgebaut und strukturiert haben, wie sie heute sind. Noch immer stellen sie in vielen Organisationen etwa 50 Prozent der Belegschaft dar und wissen, wie man Macht ausübt. Sie haben Erfahrung und Einfluss, aber kommen definitiv aus einer anderen Welt und denken anders. Und diese Unterschiedlichkeit erzeugt auch in Unternehmen Spannungen zwischen den Generationen.

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Klaus Hurrelmann – Biografie

Prof. Dr. Dr. h.c. Klaus Hurrelmann wurde 1944 geboren und studierte in Berkeley, Münster und Freiburg. Er ist Sozialwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Jugend-, Bildungs- und Gesundheitsforschung. Er wurde 1975 zum Professor an der Universität Essen ernannt und wechselte 1979 an die Universität Bielefeld. Seit dem Jahr 2009 arbeitet er als Senior Professor of Public Health and Education an der Hertie School in Berlin. Er ist Senior Expert am Berliner Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS). Hurrelmann leitete mehrere Familien-, Kinder- und Jugendstudien, zuletzt zur Berufsorientierung und zum Finanzverhalten von jungen Erwachsenen. Er gehört seit dem Jahr 2002 dem Leitungsteam der Shell Jugendstudien an und begründete die World Vision Kinderstudien. Er hat zahlreiche Lehr- und Handbücher in deutscher und englischer Sprache veröffentlicht. Mit dem Journalisten Erik Albrecht hat er 2020 das Buch «Generation Greta» geschrieben, das 2021 in englischer Adaption unter dem Titel «Gen Z Between Climate Crisis and Coronavirus Pandemic» erschienen ist.

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ZOE: Viele Führungskräfte bemängeln, dass die jüngeren Generationen einerseits anspruchsvoll sind, was ihre Arbeitsbedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten betrifft, jedoch gleichzeitig nicht bereit sind, metaphorisch gesprochen auch mal die «Extra-Meile» zu gehen. Ist das aus Ihrer Sicht nur ein Vorurteil oder spiegelt sich das auch in Ihren Erhebungen?

Hurrelmann: Die Generation der Baby Boomer, deren Denk- und Arbeitsweise in Unternehmen und Politik noch stark dominieren, steht irritiert und fassungslos davor, wie diese jüngeren Generationen sich ein Arbeitsleben vorstellen. Sie beobachten kein Durchhaltevermögen, keine Bereitschaft, das Privatleben zurückzustellen, wenn mal im Berufsbereich etwas Dringliches ansteht, wenig Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen oder gar Überstunden zu machen, um den Anforderungen des Arbeitsalltags gerecht zu werden. Das ist natürlich für die disziplinorientierten, arbeitsbewussten, fleißigen und ehrgeizigen Baby Boomer ein Unding. Sie können mit dieser Haltung überhaupt nichts anfangen und glauben, dass dadurch die weitere wirtschaftliche Entwicklung ihres Unternehmens gefährdet ist. Es lässt sich nicht leugnen, dass diese Einstellung bei den jungen Leuten da ist. Gleichzeitig muss man sich immer klarmachen, dass die Arbeitsweise in den Unternehmen durch die nach wie vor dominierende Baby Boomer-Generation geprägt wird. Und die jungen Leute wollen sich hiervon absetzen. Sie wollen nicht den gleichen Lebensrhythmus und Lebensstil haben, sondern eine größere Lebensqualität. Da sie zwar in Krisenkonstellationen groß geworden sind, jedoch trotzdem nie in eine wirtschaftliche Existenzkrise geraten sind und jetzt auch deutlich ihre Chancen spüren, sind sie in dieser für uns Älteren erscheinenden verwöhnten Position und können sich das auch leisten. Das bedeutet für Unternehmen, dass sie darauf eingehen und die jungen Leute da abholen müssen, wo sie stehen. Das heißt, ihre Verhaltensweisen erst einmal so zu akzeptieren, um sie an das Unternehmen heranzuführen und zu vermitteln, wie das Unternehmen im Kern tickt. Ihre Bereitschaft, sich durch den Sinn der Arbeit faszinieren zu lassen, ist da. Sie interessiert, wofür das Unternehmen steht und was zur Herstellung des Produkts oder der Dienstleistung nötig ist. Wenn es gelingt, dass der Funke überspringt und jüngere Mitarbeitende die Chance erhalten, einen Teil mitzugestalten oder noch besser neu zu gestalten, dann sind die Stärken der jüngeren Generationen, wie z. B. ihre digitale Affinität, Multitaskingfähigkeiten und dass sie bestimmte neue Kommunikationsformen flexibel bedienen können, gut nutzbar. Dann verändern sie ihre verwöhnte Komforthaltung und lassen sich auf das Unternehmen ein.

ZOE: In gewisser Weise reflektiert die Lebens- und Arbeitseinstellung der jüngeren Generationen das, was sich der Großteil der Menschen ebenfalls wünscht. Sinnvolle Arbeit, die Spaß macht, die auf die persönlichen Bedürfnisse zugeschnitten ist und sich gut mit dem Privatleben vereinbaren lässt. Jedoch, die Realität stellt sich anders dar. Erträge müssen erwirtschaftet werden. Die (digitale) Infrastruktur der Organisation, die jüngere Generationen mit Berufseintritt mitnutzen können, muss erst einmal aufgebaut werden. Ohne die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, entstehen auch keine verbindlichen Strukturen usw. Wie stellt sich die jüngere Generation den Aufbau, Erhalt und die zukunftsfähige Weiterentwicklung von Organisationen vor. Was ist deren Gegenmodell?

Hurrelmann: Es gibt kein ausgearbeitetes Gegenmodell, sondern Wunschvorstellungen von der eigenen Arbeits- und Lebensgestaltung: Etwas zu machen, was den persönlichen Neigungen entspricht, was Sinn macht, was Erfüllung bringt und gleichzeitig eine passable wirtschaftliche Existenz sichert. Zugegebenermaßen kann das weit von dem entfernt sein, wie zurzeit die Arbeitsstrukturen sind. Daher ist es so wichtig, jüngere Mitarbeitende dahin zu führen, worum es im Unternehmen im Kern geht. Dann kann sich an dieser Einstellung auch etwas verändern. Dadurch kann die durchaus vorhandene Bereitschaft der jüngeren Generationen abgerufen werden, etwas zu tun, was ihnen persönlich auf den Leib geschneidert ist. Sie haben sich ja meist sehr bewusst für einen Beruf entschieden, der ihren ganz persönlichen Interessen und Neigungen entspricht. Gleichzeitig wittern sie überall Fremdbestimmung. Sie haben den Eindruck, dass nicht ihre Maßstäbe zählen, sondern die Maßstäbe von den Älteren, die als Sachzwänge dargestellt werden. An Sachzwänge glauben sie zunächst nicht, sondern sie gehen von der kühnen Vorstellung aus, dass man auch alles anders machen könnte.

ZOE: Basierend auf Ihren Forschungen: Hält mit den jüngeren Generationen Y und Z auch eine andere Arbeitskultur und Einstellung zu Leistung und Verantwortung in die Arbeitswelt Einzug? Welche mentalen Modelle zur Gestaltung von Führung und Zusammenarbeit prägen Ihren Erkenntnissen nach diese jüngeren Generationen?

Hurrelmann: Für die jüngeren Generationen ist alles Digitale völlig selbstverständlich. Und das Potenzial dieser Haltung darf man nicht unterschätzen. In der digitalen Welt bewegen sich die jungen Leute mit Unbefangenheit, Intuition und Spaß, teilweise auch schon mit soliden digitalen Kompetenzen, die sie sich einfach durch die rege Nutzung der digitalen Anwendungen schon angeeignet haben. Wenn dann durch Weiterbildung noch mehr digitale Kompetenztiefe erlangt werden kann, ist das eine wichtige Investition, um die Digitalisierung in Organisationen voranzutreiben. Auch bringen sie einen viel kollegialeren Umgang miteinander mit. Sie wünschen sich ein gutes Betriebsklima ohne Hierarchien, mit entspannten Umgangsformen, so wie sie es durch ihre digitalen Interaktionen gewöhnt sind. Sie würden sich, wenn sie das selbst entscheiden können, für die Ansprache per Du entscheiden, die aber symbolisch bedeutet, wir sind gleich, wir arbeiten auf einer Ebene. Die Kehrseite davon ist, dass die Bereitschaft, in den traditionellen Mustern Karriere zu machen, gering ist. Hier ist zu überlegen, wie sich Führungskräfte in dieser jüngeren Generation entwickeln können, wenn ein starkes Kollegialitätsprinzip, basisdemokratische Vorlieben und eine deutlich zu erkennende Hierarchiephobie die Einstellung prägen. Man möchte im Team arbeiten, darin seine eigene Rolle haben und wichtig genommen werden – sozusagen vom ersten Tag an, ohne sich eingearbeitet zu haben. Das ist das Anmaßende da dran.

ZOE: Was würden Sie nun Führungskräften für den Umgang mit den jüngeren Generationen empfehlen? Wie kann der Einarbeitungsprozess gestaltet werden, denn es ist ja unzweifelhaft, dass auch diese Generation beim Eintritt ins Berufsleben noch nicht alles kann.

Hurrelmann: Es ist wichtig, die jüngeren Kolleg*innen an ihre Rolle heranzuführen. Jedoch darf das nicht den Charakter haben von etwas «beibringen», so nach dem Motto – «ich erkläre dir, wie das hier läuft, denn du hast keine Ahnung». Das wird von den jungen Leuten nicht akzeptiert. Da fühlen sie sich fremdbestimmt, denn sie sind digital groß geworden und konnten sich vieles selbst erarbeiten. Sie sind es eben nicht gewohnt, dass ihnen jemand sagt, was zu tun ist oder wie man etwas macht, sondern sie haben die Fähigkeit, sich das selbst zu erschließen. Daher sollte man sie mitnehmen und dazu einladen, dass sie sich etwas erarbeiten. «Wir stehen hier vor folgenden Herausforderungen. Wir haben das bisher so gelöst, wir wissen nicht, ob es vielleicht auch anders zu lösen ist, du bist eingeladen, daran mitzudenken, ich erkläre dir wie wir es bisher gemacht haben. Wir sind jedoch für alles offen, wenn wir merken, dass wir umgestalten müssen, und du bist eingeladen, mit nachzudenken.» Das zu beschreiben, was zu erarbeiten ist, das wäre die Aufgabe einer Führungskraft.

ZOE: Spricht man mit älteren Führungskräften, so schildern diese ihre Beobachtung, dass die junge Generation zwar Feedback möchte, dabei jedoch unheimlich Feedback-sensibel ist. Man müsse sehr aufpassen mit Kritik und kann auch nicht alles sagen, was verbesserungswürdig wäre. Deckt sich das mit Ihren Beobachtungen?

Hurrelmann: Auch hier hilft zum besseren Verständnis dieser Verhaltensweisen, sich typische Generationsmuster bewusst zu machen. Viele der jüngeren Generationen, und hier vor allem Jungen, haben intensiv Zeit mit Videospielen verbracht, die einen bestimmten Aufbau haben. Man durchläuft bestimmte Aufgabenläufe, bekommt Rückmeldung und einen Anreiz, wie man in die nächste Runde kommt, um die nächste Herausforderung zu bewältigen. Das alles läuft spielerisch ab und gleichzeitig im Wettbewerbsszenario, was das Durchhalten erleichtert. Jedoch im Kern ist das völlig anders als bei den über 45-Jährigen, die gelernt haben, solange an einer Sache dran zu bleiben, bis der Erfolg eintritt. Je mehr man daher von diesen Gamificationprinzipien in den Unternehmensablauf einbeziehen kann, desto eher erreicht man die jüngere Generation. Natürlich geht das nicht an jedem Arbeitsplatz, aber was spricht dagegen, mit entsprechenden Anreizen und Feedback-Methoden das Interesse und Durchhaltevermögen zu steigern?

ZOE: Also lieber Challenges kreieren als über Beurteilungssysteme zu gehen?

Hurrelmann: Ja, absolut. Rückmeldungen zu dem zu erhalten, was man kann und was noch nicht, sind durchaus beliebt. Aber nicht durch Vorgesetzte, die einem das sagen, sondern erneut durch die Möglichkeit, sich das in Eigenaktivität selbst zu erarbeiten. Beispielweise durch das Angebot von unabhängigen Potenzialanalysen, die dieses Feedback ermöglichen und zugleich bei Bedarf ein Beratungsangebot bereithalten, wie Stärken weiterentwickelt und Schwächen ausgeglichen werden können. So muss das angelegt sein. Demgegenüber findet die Rückmeldung des Vorgesetzten auf der Hierarchieebene statt, gilt daher nicht selbst erschlossen und wird schnell abgelehnt.

ZOE: Wie können Unternehmen die jüngeren Generationen beim Einstieg in den Beruf unterstützen bzw. was macht Unternehmen für die jüngere Generation besonders attraktiv?

Hurrelmann: Grundsätzlich kann man aus allen Studien ablesen, dass die jüngeren Jahrgänge den eigenen Eltern gegenüber sehr zugewandt sind. Das überträgt sich auch auf die mittlere Generation. Zu den Eltern bleibt ein sehr enges Verhältnis bestehen, selbst wenn man nicht mehr zusammenlebt. Die Eltern werden zu den wichtigsten Berater*innen. Es wird keine Berufsentscheidung, keine Karriereentscheidung, keine Weichenstellung im Leben ohne die Eltern getroffen. Bei der derzeitigen Vielfalt von Optionen, jedoch auch vor dem Hintergrund der starken psychischen Belastungen und Unsicherheiten, möchte man als junger Mensch sich mit jemandem beraten, der nicht parteiisch ist. Und genauso werden die Eltern gesehen: Sie denken aktiv für einen mit, «schwätzen einem nichts auf» und spielen daher eine ungeheuer wichtige Rolle. Unternehmen sind gut beraten, das mit im Auge zu haben. Eventuell lohnt es sich sogar, mit den jungen Leuten offen darüber zu reden, ob die Eltern in wichtige Zusammenhänge einbezogen werden sollen. Dies weitergedacht könnten Unternehmen ihre Attraktivität erhöhen, wenn sie unparteiische und freiwillige Beratungsangebote für das Management von schwierigen Situationen offerieren. Diese müssen jedoch ohne moralischen Unterton und nicht von oben herab gestaltet sein. Schließlich müssen die jungen Menschen, die in einer komplexen gesellschaftlichen Situation groß geworden sind, existenzielle Krisen wegstecken. Das tun sie auf ihre Weise auch tapfer, aber das hinterlässt natürlich Spuren. Hier gibt es schon Modelle, wo Unternehmen für eine Pauschalgebühr Beratungsleistungen von einem neutralen dritten Anbieter einkaufen. Das wird sehr wertgeschätzt, weil eben der Beratungs- und Unterstützungsbedarf hoch ist, man jedoch als junger Mann oder junge Frau im Unternehmen das nicht so ohne weiteres findet oder manchmal auch gar nicht erst sucht. Es kommt eine sehr sehr innovative, offene, aber durch ihre Eltern sehr verwöhnte junge Generation in die Unternehmen, die jedoch Unterstützung benötigt. Wenn das ein Unternehmen glaubwürdig und ohne direkte Verbindung mit dem Arbeitserlebnis anbieten kann, dann wird das unter Garantie von den jüngeren Mitarbeitenden sehr gewürdigt und das Unternehmen kann hier punkten. Das gilt übrigens ebenso für Angebote zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Gerade junge Frauen, die inzwischen ja als Leistungsträgerinnen angesehen werden und teilweise von ihren Ausbildungsabschlüssen her erheblich besser sind als die jungen Männer, schätzen diese Komponente außerordentlich. Und da jedes Unternehmen möglichst viele von diesen kreativen jungen Frauen attrahieren möchte, hebt das Angebot der Vereinbarkeit von Familie und Beruf natürlich die Arbeitgeberattraktivität für diese Zielgruppe.

ZOE: Sie hatten vorhin bereits mögliche Spannungen zwischen Generationen angesprochen. Auf Basis Ihres Verständnisses der jüngeren Generationen, an welchen Stellen denken Sie denn, dass sich Konflikte entwickeln könnten?

Hurrelmann: Wir sehen in allen Studien, dass die junge Generation zwar gegenüber Älteren sehr aufgeschlossen ist, jedoch teilweise kein Verständnis für deren typische Grundhaltungen hat. Baby Boomer und junge Menschen unter 35 sind in sehr unterschiedlichen Welten groß geworden. Und entsprechend ist die gegenseitige Toleranz bei manchen Haltungen nicht mehr gegeben. Hier liegen die größten Spannungen, die auch in Unternehmen beachtet werden müssen. Die beiden Generationen eint zwar, dass sie jeweils gute Berufschancen hatten, jedoch unter völlig anderen Bedingungen, ohne die digitale Flexibilität und die damit verbundene Eigenständigkeit, die von den jüngeren Generationen immer wieder eingefordert wird. Man will sich Dinge selbst erarbeiten und andere sollen gefälligst nicht sagen, wie man das macht, sondern allenfalls Hinweise geben und coachen, aber nicht vorschreiben, wie es zu machen ist. Und da sind die Baby Boomer, die – weil sie eben alles aufgebaut haben, weil sie wissen, wie man es macht – keine guten Ratgeber*innen. Zumal die Baby Boomer auch vieles nicht nachvollziehen können, wie z. B. die mangelnde Konzentrationsfähigkeit und Ausdauer, die Nicht-Bereitschaft, Privatleben zurückzustecken zugunsten des Unternehmens und so weiter. Das beinhaltet alles Potenzial für Spannungen. Das ist eine Herausforderung, der sich ein Unternehmen stellen muss. Wenn die Baby Boomer jetzt schrittweise aus dem Beruf aussteigen, schwindet ihre Macht und dadurch die Definition dessen, was im Unternehmen zählt. Mit dem unvermeidlichen Effekt, dass dann die jüngere und mittlere Generation zunehmend in die Verantwortung kommt und am Ende natürlich auch an ihrer erfolgreichen Führung von Organisationen und an den Ergebnissen gemessen werden wird. Diese unterschiedliche generationale Lagerung taucht in jedem Unternehmen, aber natürlich auch in der Politik auf.

ZOE: Ihr letzter Gedanke in Ihrem Buch «Generation Greta» lautet: «Wer die Generation Greta ernstnimmt, kommt nicht umhin zu denken, hätten wir doch früher auf sie gehört, denn das Klima ist erst der Anfang.» Was macht Sie hoffnungsvoll bezüglich der Veränderungskraft der nachfolgenden Generationen?

Hurrelmann: Es macht mich hoffnungsvoll, dass die junge Generation Themen betont, die in jedem Management-Lehrbuch als zukunftsweisend gelten: der intuitiv offene Zugang zur Digitalisierung, die Ablehnung von formalistischen Hierarchien, der kollegiale Umgang, die Betonung von Betriebsklima, Eigeninitiative, Sinnsuche und persönlicher Beteiligung am Arbeitsprozess. Jeder Mitarbeitende ist anders, und als Führungskraft muss man auf diese unterschiedlichen Stärken und Schwächen eines Menschen eingehen und den richtigen Platz für die Menschen im Unternehmen suchen. Genau das wollen diese jungen Leute ja erreichen, jedoch wehren sie sich dagegen, wenn ihnen das in einer frühen Phase, in der sie noch Novizen sind, nicht zugestanden wird. Und das ist vielleicht auch das Missverständliche.
Wenn wir jedoch in der Lage sind, souverän auf sie zu hören und sie so beteiligen, wie wir das im Gespräch hier an mehreren Beispielen diskutiert haben, dann kann das nur zum Vorteil des Unternehmens sein. Angehörige einer jungen Generation haben natürlich einen ganz anderen Blick auf die Zukunft, und sie reflektieren und spüren mit ihrer Grundhaltung in gewisser Weise seismographisch, welche Entwicklungen kommen und wichtig sind. Gut gefiltert dies bei Entscheidungen zu berücksichtigen und in den Unternehmensalltag einfließen zu lassen, wird das den Unternehmen nicht schaden. Und da die jungen Frauen, ich habe es schon angedeutet, bei den Jüngeren besonders dominieren, ist das auch immer damit verbunden, dass man sensibel auf ihre Einschätzungen und Akzente achtet. Auch das hat Unternehmen noch nie geschadet. Aus vielen Untersuchungen wissen wir, dass eine stärkere Beteiligung von Frauen am betrieblichen Leben, auch in die Führungsetagen hinein, einem Unternehmen sehr gut bekommt.

ZOE: Woraus zieht die jüngere Generation ihre Veränderungskraft?

Hurrelmann: Diese speist sich aus dem Willen, dass sie ihre Idee von einem sinnvollen und nachhaltigen Leben und Arbeiten umsetzen kann. So utopisch und so realitätsfern das aus heutiger Sicht erscheint – diese Vision kann für Unternehmen und die Gesellschaft neue, wichtige Entwicklungsimpulse hervorbringen.

ZOE: Herr Professor Hurrelmann, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

 

Prof. Dr. Dr. h.c. Klaus Hurrelmann
Professor of Public Health and Education, Hertie School of Governance

 

Literatur:

Hurrelmann, K. & Albrecht, E. (2020). Generation Greta. Was sie denkt, wie sie fühlt und warum das Klima erst der Anfang ist. Beltz.
Schnetzer, S. & Hurrelmann, K. (2022). Jugend in Deutschland – Trendstudie Sommer 2022. Jugend im Dauerkrisen-Modus – Klima, Corona, Krieg. Datajockey.

 


Aus Ausgabe Nr. 4/22: Die Nächsten, bitte – Millennials als Change-Treiber

Vier Generationen arbeiten derzeit in Organisationen zusammen. Deren unterschiedliche Arbeitsweisen und Einstellungen werden an vielen Stellen sichtbar und führen mitunter zu Spannungen. Die spürbar veränderte Lebens- und Arbeitseinstellung der Millennials fungiert dabei als Change-Treiber und zeigt nicht nur das Potenzial, Arbeitskulturen zu verändern, sondern auch gesellschaftliche Wandelprozesse anzustoßen.

In dieser Ausgabe der ZOE beleuchten wir u. a. mit Generationenforscher*innen und weiteren Expert*innen aus unterschiedlichsten Bereichen, welche Vorstellungen von Arbeit und Leben die Jüngeren prägen sowie was sich daraus jetzt schon an Veränderungen für Organisationen abzeichnet. Zugleich suchen wir organisationale Antworten darauf, wie diese Generation mit ihren Talenten in den Arbeitsprozess integriert werden kann, damit sie ihr volles Potenzial entfalten und die anstehenden ökologischen, ökonomischen und sozialen Transformationen meistern kann.