Nr. 4 vom 09.10.2020

Schwerpunkt: Ambidextrie

Im Schwerpunkt dieses Hefts schauen wir genau auf das Thema Beidhändigkeit („Ambidextrie“). Wie schaffen Unternehmen Voraussetzungen für das Sowohl-Alsauch von Exploitation und Exploration und für inkrementelle und diskontinuuierliche Innovation? Wie sehen Strukturen, Prozesse, Kulturen und insbesondere Führung in Organisationen aus, die diesen Spagat erfolgreich meistern? Eines sei vorweggesagt: Die Anforderungen an die beiden Hände könnten unterschiedlicher nicht sein.

Eine Auswahl der Themen:

  • Ambidextrie gestern und heute: Ein Interview mit Harvard-Professor Michael Tushman
  • Innovation bei Beumer: LDisruption und Optimierung im Familienunternehmen
  • Top Management Teams bei Bertelsmann: Organisationsdesign für die Ambidextrie
  • VUKA und kein Ende: Ein Paradigma auf dem Prüfstand
  • Schluss mit der Gerüchteküche: Reorganisation kommunikativ begleiten

Als gäbe es kein Morgen…

«Ambi… was?» so lautete bisweilen die Entgegnung, wenn im Vorfeld dieser Ausgabe der Heftschwerpunkt Ambidextrie zur Sprache kam. Der Hinweis, dass Organisationen heute sowohl ihr Kerngeschäft effizient managen, als auch – gerade an­ge­sichts disruptiver Veränderungen – systematisch Poten­ziale für das zukünftige Geschäft erkunden müssen, war häufig Auftakt für eine sehr intensive und selbstkritische Auseinandersetzung mit der eigenen Unternehmenssituation.

Wie kommt es, dass diese Beidhändigkeit Unternehmen und Mitarbeiter heute so sehr beschäftigt? Firmen wie Nokia, Kodak oder Blackberry sind zu Sinnbildern des Scheiterns langjährig erfolgreicher Unternehmen im immer schneller wer­den­­den disruptiven Wettbewerb geworden. Offenbar fällt es etablierten Unternehmen schwer, mit radikalen Innovationen neu­en Produkten, Dienstleistungen oder Geschäftsmodellen von branchenfremden und häufig unterschätzten Wettbewerbern zuvorzukommen.

Im Schwerpunkt dieses Hefts schauen wir deshalb genauer hin: Wie schaffen Unternehmen Voraussetzungen für das Sowohl-Alsauch von Exploitation und Exploration und für in­krementelle und diskontinuierliche Innovation? Wie sehen Strukturen, Prozesse, Kulturen und insbesondere Führung in Organisationen aus, die diesen Spagat erfolgreich meistern?

Eines sei vorweggesagt: Die Anforderungen an die beiden Hände könnten unterschiedlicher nicht sein. Und sie setzen die Beteiligten immer wieder zeitlich, inhaltlich und sozial-emotional unter Spannung. Mehr noch: Covid-19 verschärft die­­se Herausforderung, denn ein naheliegender und fast ref­lex­­artiger Rückzug auf das Kerngeschäft als Reaktion auf die aktuelle Krise ist so nachvollziehbar wie fahrlässig zugleich.
In einem sehr aufschlussreichen Interview unterstreicht Har­vard-Professor Mike Tushman – einer der Väter des Ambidextrie-Konzepts – die Anforderungen an Führungsteams in Unternehmen mit intern komplett unterschiedlichen und widersprüchlichen Kulturen. Florian Hager, Chef von funk, dem Content-Netzwerk von ARD und ZDF, sowie Christoph Beumer, Chairman und CEO der familiengeführten Beumer Group, gewähren einen tiefen Einblick in ihre Erfahrungen im Umgang mit ambidextrer Unternehmensentwicklung im Medien- bzw. Maschinenbaukontext.

Wie Ambidextrie-Entwicklung methodisch unterstützt werden kann, schildert Jens Maier anhand anschaulicher Unternehmensfälle. Gabriele Becker, Kristin von Donop und ich selbst zeigen, wie sich Management Teams bei Bertelsmann wechselseitig bei der Entwicklung effizienz- und innovationsorientierter Organisationsdesigns für ihre jeweiligen Unternehmen unterstützen.
Über den Heft-Schwerpunkt hinaus stellt Fouzieh Melanie Alamir das VUKA-Konzept kritisch auf den Prüfstand. Thorsten Dum und Axel Sierau veranschaulichen am Beispiel des Fußball-Bundesligisten TSG Hoffenheim wie People Analytics ein­gesetzt wird und was Organisationen dabei lernen können.

Und die Conclusio? Organisationen brauchen intelligente For­­men von «Beidem»: Die Weiterentwicklung des aktuellen Kern­geschäfts und die Exploration und Realisierung zukünftiger Potenziale. Damit es ein Morgen gibt!